Auf den zweiten Blick

„Auf den zweiten Blick“ – worum geht’s?

Verliebt auf den zweiten Blick. Begeistert auf den zweiten Blick. Mitfühlend auf den zweiten Blick. Enttäuscht auf den zweiten Blick. Viele Menschen, Momente und Emotionen nehmen wir beim ersten Mal nicht richtig wahr.  Lucy van Kuhl besingt und kommentiert in ihrem neuen Programm „Auf den zweiten Blick“ empathisch die Liebe, das Alter, Menschen, die in unserer Gesellschaft kaum wahrgenommen werden, Menschen, die (leider) viel zu sehr wahrgenommen werden, Situationen, die man sich eingebrockt hat und aus denen man schlecht wieder rauskommt. Und sie stellt sich die Frage „Wann hab ich zum letzten Mal was zum ersten Mal gemacht?“, denn es lohnt sich auch ein zweiter, dritter, sechster Blick auf unsere Lebensroutine. Der erste Blick ist der intuitive, der zweite Blick kann der besondere sein. 

Lucy van Kuhl erreicht ihr Publikum durch ihre natürlich-authentische Art. Man findet sich in ihren Liedern wieder, in den kleinen Tücken des Alltags, die sie ironisch besingt, aber auch in ihren ehrlichen ruhigen Chansons.

LUCY VAN KUHL: AUF DEN ZWEITEN BLICK
von Edith Jeske 

„Mooooment mal“ tönt es von der Bühne, als unsere Hände grade in die Höhe schnellen, um die treffsichere Pointe zu beklatschen. Mooooment mal! Denn da kommt noch eine. Wenn nicht sogar zwei.  In der Filmsprache heißt das „Double Take“. Wenn z.B. unsere Filmheldin sich ein Bier aus dem Kühlschrank holt, ihn zumacht, stutzt, den Kühlschrank wieder öffnet und die abgetrennte Hand einer Leiche erblickt. Das ist ein Double Take. Inspektor Columbo war gefürchtet dafür. Im Gehen, schon in der Tür, bleibt er stehen und stellt die entscheidende Frage, die den Täter kalt erwischt und – zack – zur Stecke bringt. So ähnlich geht auch Lucy van Kuhl vor. Auf der Bühne und – man staunt: auf ihrem Album! Man kann sich kaum vorstellen, dass sowas auf einem Tonträger funktioniert. Tut es aber. Und wie!

Alle Songs haben irgendwas mit einem zweiten Blick zu tun, der uns oft auch zum Perspektivwechsel nötigt. Nicht selten den auf unsere eigenen Schwächen, auf das Arschloch in uns oder die Weigerung, Verantwortung für uns selbst zu übernehmen. Lucy van Kuhl kennt unsere wunden Punkte und sticht so lustvoll hinein, dass uns der Schmerz gefällt. Dann zum Beispiel, wenn wir uns über DEUTSCHE IM URLAUB erheben, über clevere Ausreden DA FANG ICH DOCH ERST GAR NICHT DAMIT AN. Hashtag Selbstbeschiss. 

HAUS IN DER PROVENCE erlöst uns endlich vom Neid auf diejenigen, die sich einen solchen Wunsch erfüllen. Mit unverhohlener Schadenfreude genießen wir den überfallartigen Ansturm der Gäste. Die Pointe freut uns: Die genervte Besitzerin verkauft das Anwesen wieder. Geschieht ihr recht. Aber – genau: Double Take – sie behauptet das nur auf facebook und hat die Hütte wieder für sich. Diesen Trick darf man sich merken. . 

Mit JUNG JUNG JUNG erzählt Lucy uns ein modernes Märchen mit einem Very-unhappy-End. Ein Leben lang auszusehen wie dreißig – welche Frau hat mit dieser Fantasie nicht schon mal gespielt. Lucy van Kuhl exerziert erbarmungslos durch, was uns tatsächlich blühen würde. Und nein – das ist dann nicht mehr schön. 

Von den Tücken allgegenwärtiger ERWARTUNGSHALTUNG weiß jede therapeutische Couch ein Lied zu singen. Wer aber richtet den Blick auf die ewig Geknechteten – unsere stummen Gefährten, von unserer Erwartungshaltung in den Burnout getrieben? Wer lauscht einer soziophobischen Biene, kuriert die Qual eines Klebehakens, lindert die Sinnkrise von Siri und die Altersdepression eines Amor?  Lucy van Kuhl verleiht ihnen die längst überfällige Stimme. Eine muss es ja machen. 

Gemacht hat sie schon viel. Alles noch nicht. Die Frage WANN HAB ICH ZUM LETZTEN MAL ist abermals eine, die uns Anzügliches denken lässt und uns vorführt, wie voreilig der Mensch ist – also wir. Hashtag eigene Nase. Was Lucy hier tatsächlich zum ersten Mal macht, ist: rappen. Klappt.

Natürlich kann die Dame auch ganz ernsthaft: liebevoll, poetisch, tiefgründig. WO IST FRAU SCHMIDT – das Ost-Urgestein, die zeitlose Konstante im Berliner Mehrfamilien-Altbau. Nun fällt der Blick auf ihre Geranien, die leblos vom Fensterbrett hängen. Ein weiteres Stück einer Ära ist lautlos verschwunden. JEDEN NACHMITTAG IM PARK wiederum erzählt von einem, der noch da ist, aber bloß noch den anderen beim Leben zuschaut . Bis ein Schicksalsgenosse sich ein Herz fasst: Hoffnung im Spätherbst des Lebens. 

Ob Lucy van Kuhls Lieder manchmal autobiografisch sind? Könnte schon sein. ICH WILL DICH (mal wieder vermissen). Der erste schnelle Blick auf den Titel täuscht prompt. Typisch Lucy.

Die Liebe auf den ersten Blick ist ein romantisches Klischee, das sich abzustreifen lohnt. Denn viel besser sieht das Herz AUF DEN ZWEITEN BLICK. 

Und dann ist da noch Paul.
Paul ist ein glückliches Kind. Und Paul will PRINZESSIN SEIN – mit Ponyhof im Erdgeschoss vom Märchenschloss. Beim Fußball ist er übrigens super, und in seinem Werkzeugköfferchen hat er lila Lipgloss. Und Patrizia wird Papst. 
Ein etwas anderes Kinderlied, entstanden im Songcamp der Celler Schule mit (hier die Namen, auch wenn die wahrscheinlich nie jemand nennen wird) und dem Kinderliedermacher Jochen Vahle, der es mit seiner Band Randale für das ganz junge Publikum auf die Bühne bringt.
Das nennt man doch mal generationsübergreifend. 

Sollten wir noch von den vielen Kabarettpreisen und Auszeichnungen reden, die Lucy van Kuhl abgeräumt hat? 
Und dass sie gerade den Schwäbischen Kabarettpreis bekommen hat?
Müssen wir erwähnen, dass es Konstantin Wecker war, der Lucy auf sein Label holte? Berichten wir von Lucys Tourneeplan, der sich sehen lassen kann? 
Verraten wir, was Lucy als nächstes plant?

Mooooment mal…….!

Vita Lucy van Kuhl:

„Lucy van Kuhls Art zu musizieren und zu singen begeistert mich, ihre Worte sind poetisch und ironisch. Sie schafft ausdrucksstarke Bilder und setzt sie musikalisch ganz zauberhaft um.“ (Konstantin Wecker)

Seit Oktober 2018 ist sie in Konstantin Weckers Label „Sturm & Klang“ unter Vertrag, wo im April 2019 ihre Solo-CD „Dazwischen“ und im Januar 2021 ihre CD „Alles auf Liebe“ (mit Band) erschienen ist. 2022 folgt die nächste CD mit Band: „Auf den zweiten Blick“.

Die studierte Germanistin und Pianistin verbindet in ihren Liedern ihre beiden Steckenpferde Wort und Musik. Sie beobachtet ihre Umwelt, ihre Mitmenschen und sich selbst und kombiniert auf charmant-unnachahmliche Weise Klavier-Kabarett mit Chansons.

Ihre Programme sind wie Yoga für die Bauchmuskeln: Anspannung – Entspannung und am Ende stellt sich ein Glücksgefühl ein.

Lucy van Kuhl erreicht ihr Publikum durch ihre natürlich-authentische Art. Man findet sich in ihren Liedern wieder, in den kleinen Tücken des Alltags, die sie ironisch besingt, aber auch in ihren ehrlichen ruhigen Chansons.

Preise:

2019 „ScharfrichterBeil“ (Jury- und Publikumspreis)
2021 „Stuttgarter Besen“ (Publikumspreis)
2022 „Schwäbischer Kabarettpreis“ und 2. Preis „Paulaner Solo“

Für ihre Songtexte erhielt sie 2017 ein Stipendium an der „Celler Schule“, der einzigen Masterclass für Songtexter in Deutschland, gefördert durch die GEMA-Stiftung.

Zusätzlich erhielt sie den „Hans Bradtke-Förderpreis“, gestiftet von Barbara Berrien, der Tochter des Textdichters Hans Bradtke (u.a. „Pack die Badehose ein“, „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, „Weiße Rosen aus Athen“, „Rote Lippen soll man küssen“) für ihre „Originalität, Lust am Spielen, große Experimentierfreude und ihre virtuosen Texte.“

Lucy van Kuhl lebt in Südfrankreich, Berlin und auf Reisen.

Die „Es-Chord-Band“:

Lorenzo Riessler, Schlagzeug

Lorenzo Riessler wurde in Florenz geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Köln, Freiburg und Florenz. Dann zog es ihn nach London, wo er 2019 seinen Masterabschluss am „London College of Music“ mit Bestnote machte.

Er ist mit seiner Band „Lorenzo Riessler Ensemble“ international unterwegs und spielt außerdem mit allerhand Jazz-Größen (u.a. Howard Levy, Jean-Louis Matinier, Michael Riessler, Pierre Charial).

Nenad Uskokovic, Violoncello

Nenad Uskokovic ist ein musikalischer Tausendsassa. Er wurde in Belgrad geboren, studierte in Detmold und erhielt ein Stipendium in Ulm. Nach zahlreichen internationalen Preisen im klassischen Bereich begann er, sich mit allen möglichen Musikstilen auseinanderzusetzen. So tourt er in verschiedenen Ensembles durch die Welt, als Solist, im Duo oder in Kammerorchestern.

Seit er in Konstantin Weckers „Weltenbrand-Orchester“ mitspielt, begeistert er sich auch für deutsche Lieder. So kam die Zusammenarbeit mit Lucy van Kuhl zustande.